Als Michèle Meyer an ihre Grenzen stieß

Interview aus dem Lëtzebuerger Wort vum 27. Oktober 2016

Interview: Luc Ewen

Nicht nur das neue Schuljahr, sondern auch das „Guiden- a Scouts“- Jahr hat begonnen. Beim größten Luxemburger Pfadfinderverband „Lëtzebuerger Guiden a Scouten“ laufen zudem die Vorbereitungen für ein internationales Sommerlager, wie es das Land erst zweimal gesehen hat. Grund genug einmal bei der Generalkommissarin Michèle Meyer den Puls zu fühlen und nachzufragen, was Pfadfindern eigentlich bedeutet.

Michèle Meyer, was für ein Erlebnis hat Sie am meisten in Ihrer Pfadfinderkarriere geprägt?

Das war in meinem ersten CaraPio-Jahr. Es war das Jahr der Fusion, also das erste Jahr, in dem Jungen und Mädels gemeinsam Aktivitäten machten. Unsere Gruppe organisierte einen „Camp volant“ im Kanu an der Lahn. Das war total in der Natur und da habe ich definitiv zum ersten Mal in meinem Leben meine eigenen Grenzen kennen gelernt.

Was hat Ihnen denn eher Ihre Grenzen gezeigt – das Fehlen der Geschlechtertrennung oder das Kanu?

(lacht) Definitiv das Kanu! Dazu braucht man Kraft. Ich habe damals Basketball gespielt. Montags bis freitags jeden Tag drei Stunden Training und am Wochenende die Wettkämpfe. Aber das war nichts gegen dieses „Camp volant“. Das Kanu hat mich definitiv an meine Grenzen gebracht. Pfadfindern ist noch einmal eine ganz andere sportliche Herausforderung.

Und das verändert auch den Menschen? Was ist denn der Unterschied zwischen jemandem, der bei den „Guiden“ oder „Scouten“ war und den „Normalsterblichen“?

Ja. Ein Pfadfinder ist normalerweise selbstbewusster, er sieht die Arbeit, hilft, wo er kann und geht mit offenen Augen und offenem Geist in die Welt hinein. Pfadfinder sind eine Schule fürs Leben.

Das klingt nach einer auswendig gelernten Floskel.

Es stimmt aber. Im Endeffekt durchlebt ein Pfadfinder in seiner „Scoutscarrière“ eine Ausbildung. Von klein an lernt er auf spielerische Art und Weise, sich durchs Leben zu schlagen. Unser Weltverband WOSM ist dabei, ein Formular auszuarbeiten, in dem der Pfadfinder im „Scoutsjargon“ gefragt wird, wo seine Stärken liegen. Die Fragen in der Pfadfindersprache kann er danach durch einen Text mit Ausdrücken aus dem Berufsleben ersetzen. Es ist bemerkenswert, was da für „Skills“, also Talente, bei jedem Einzelnen zum Vorschein kommen. Das ist sehr interessant für Arbeitgeber, stärkt aber auch das Selbstbewusstsein der Pfadfinder beim Vorstellungsgespräch. Es ist toll, wenn jemand sagen kann: „Ich kann eine Pfadfinderversammlung leiten“. Aber wer das kann, der kann auch ein Meeting in der Arbeitswelt leiten. Pfadfindern vermittelt einen soliden Hintergrund für das Berufsleben.

Es geht also darum, Herausforderungen meistern zu können. Was ist denn Ihre größte Herausforderung in diesem Pfadfinderjahr?

Das ist ohne Zweifel die Organisation des internationalen Pfadfinderlagers „Go Urban“, das vom 18. bis zum 28. Juli 2017 in Kirchberg stattfinden wird. Dort werden rund 5 000 Teilnehmer erwartet. Pfadfinderlager dieser Dimension gab es erst zweimal im Großherzogtum – 1982 der „Jubica“ und 1994 der „Atlantis“.

Eine Gelegenheit also, auch Nicht-Pfadfindern das Pfadfindern näher zu bringen?

Auf jeden Fall. Wir werden am 23. Juli einen Besuchertag veranstalten, eine Art Kirmes. An dem Tag ist das Gelände für jeden kostenlos geöffnet. Die „Guiden“ und „Scouts“ werden das Lagerleben vorstellen, es wird Aktivitäten für Kinder geben und wir sind dabei zu planen, welche weiteren Attraktionen wir an dem Tag noch anbieten können.

Aber das „Go Urban“ soll auch das Engagement der „Lëtzebuerger Guiden a Scouten“ im sozialen Bereich widerspiegeln. So haben wir eine Aktion unter dem Motto „Go Support“ gestartet. Ziel ist es, unseren internationalen Pfadfinderkollegen aus den Odysseeländern zu ermöglichen, am „Go Urban“ teilzunehmen. Mit Odysseeländern sind die Länder gemeint, in denen unser Verband oder unsere Nichtregierungsorganisation Entwicklungshilfe betreiben. Deshalb verkaufen wir Bleistifte, die man nach Abnutzung in die Erde pflanzen kann und dann erwachsen daraus Basilikum, Thymian, Pfefferminz oder andere Kräuter. Für fünf Euro kann jeder solche Bleistifte erwerben. Somit wird der Aufenthalt von Pfadfindern aus diesen Entwicklungsländern während des „Go Urban“ in Luxemburg bezuschusst.

Klingt alles in Allem nach einem klassischen Pfadfinderlager in Groß, oder?

Nein, wir wollen eine neue Art und Weise des Programms für die „Guiden“ und „Scouts“ erproben. Es soll eben nicht so sein, dass den Kindern und Jugendlichen ein Programm vor die Nase gesetzt wird. Vielmehr kriegt jeder ein Buch, in dem verschiedene „Jobs“ vorgestellt werden. Das sind Aktivitäten, die jeder einzelne sich heraussuchen kann. Mittels eines elektronischen Badges, kann er sich dann für diese „Jobs“ einloggen. Es gibt „Big Jobs“, die einen ganzen Tag in Anspruch nehmen und „Small Jobs“ von einem halben Tag. Jeder erlebt somit sein ganz persönliches „Go Urban“.

Foto: Gerry Huberty